Wer morgens unter der Dusche ein Liedchen trällert, der stärkt ganz nebenbei seine Abwehrkräfte: Denn Singen hat einen positiven Effekt auf das Immunsystem.
Dass Musik, vor allem klassische, eine entspannende Wirkung hat, ist seit langem bekannt. Nun fanden Forscher des Instituts für Musikpädagogik der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main jedoch heraus, dass selber singen das Gesündeste für den Körper ist. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sängerbund untersuchten die Wissenschaftler 31 Mitglieder eines Kirchenchors.Dabei wurden den Sängern jeweils vor und nach der Chorprobe Speichelproben entnommen und auf das Stresshormon Cortisol sowie bestimmte Eiweißkörperchen hin untersucht. Diese Tests wurden wiederholt, bevor und nachdem die Probanden das Requiem von Mozart angehört hatten.
Immunsystem wird gepusht
Das Ergebnis: Sowohl beim Musikhören als auch beim eigenen Musizieren nahm das Stresshormon Cortisol ab. Sangen die Chormitglieder selbst, zeigte sich zusätzlich ein Anstieg der Immunglobuline A – Antikörper, die für die köpereigene Abwehr zuständig sind. Vom bloßen Hören von Musik blieb dieser Wert dagegen unberührt.
In einer Pilotstudie mit Chorsängern hatten die Frankfurter Erziehungswissenschaftler Hans Günther Bastian und Gunter Kreutz die Menge von Antikörpern vor und nach dem Singen gemessen. Nach der einstündigen Probe von Mozarts "Requiem" war bei den Sängern eines Kirchenchores die Konzentration der so genannten Immunglobuline vom Typ A deutlich höher als zuvor. Je mehr Immunglobulin im Blut enthalten ist, umso leitungsfähiger ist das Immunsystem. Keine Wirkung zeigte dagegen allein das Anhören geistlicher Musik, teilten die beiden Mitarbeiter des Instituts für Musikpädagogik mit.
Wie der positive Effekt auf das Immunsystem zustande kommt und wie lange er anhält, müsse nun in weiteren Studien geklärt werden, empfehlen die Wissenschaftler. Da allein in Deutschland rund 3,2 Millionen Menschen in mehr als 60.000 Chören singen, könnte das Singen möglicherweise sogar eine gesundheitspolitische Dimension haben. Auch die inflationären Gesangswettbewerbe erscheinen angesichts der Erkenntnisse der Wissenschaftler in einem ganz anderen Licht.
Wie keine andere Tätigkeit löst Musik und insbesondere Singen im Körper physische und psychische Reaktionen hervor. Die Auswirkungen, die darüber hinaus das Musizieren, also das aktive, bewusste Musikerlebnis, mit sich bringt, werden heutzutage häufig vergessen oder unterschätzt. Dabei soll das Singen so gesund sein: Körper, Geist und Seele stimulieren, die Leistung, Kommunikationsfähigkeit und das Sozialverhalten fördern. Die folgende Auflistung mit positiven Aspekten über das Singen zeigt, dass Musik dem Sport mindestens gleichzusetzen ist:
Dass es heute eher als peinlich empfunden wird, frei von der Leber weg zu singen, beobachtet Frau Stelzig mit Sorge. Schon Kleinkindern werde das Singen vorenthalten. Das beginne in der Familie, setze sich im Kindergarten und in der Schule fort. So sind Kinder immer weniger in der Lage, ungezwungen ein Lied zu trällern, und Erwachsene haben zunehmend Stimmprobleme: "Eine Stimme, die nicht singt, wird schneller alt.”
Wird Deutschland sang- und klanglos? Verschwindet das Singen aus unserem Leben? Ärzte diagnostizierten jedenfalls eine "signifikante Zunahme kindlicher Heiserkeit", Musiktherapeuten beklagen den "Verlust der Selbstheilungskräfte", die im Singen schlummern. Lehrer, des Singens unkundig, sind verzweifelt über die sprachliche Armut, das unsoziale Verhalten, die vegetative Unruhe ihrer Schüler.
Ohnehin schreibt Professor Dr. Hans Günther Bastian der Musik noch eine Fülle gewinnbringender Eigenschaften zu. Er fordert, die Musik in Schulen wieder mehr zu beachten: „Die heutige Schule braucht die Sinnlichkeit und den Sinn der Musik“, sagt er, „weil unsere Kinder teils gefährdete oder schon verloren gegangene Sekundärtugenden benötigen: Ausdauer, Wille zur und Lust an Leistung, Konzentration, Motivation, Flexibilität, Kreativität, Engagement – alles Tugenden, die das Musizieren par excellence fordern und fördern kann.“ Vor allem Singen sei ein archaisches, elementares Ausdrucksbedürfnis.
Die moderne Forschung hat die Gemütsaufhellende Wirkung des Singens in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. Schon nach dreißig Minuten Singen produziert unser Gehirn erhöhte Anteile von Beta-Endorphine, Serotonin und Noradrenalin. Stresshormone wie zum Beispiel Cortisol werden praktischerweise gleich mit abgebaut.
Dass Singen echte Lebenshilfe und ein Gesundheitserreger ist, hat der Musikpsychologe und Sänger Karl Adamek aus Eichen gezeigt. Er erforscht die Wirkung des Singens auf Körper und Seele. "Durch Singen bewältigen viele Menschen Angst, Trauer und Stress. ,Singer' sind im Vergleich zu ,Nichtsingern' durchschnittlich signifikant gesünder und zwar sowohl psychisch als auch physisch.”
In manchen Fällen wirkt Singen wie ein "Anti-Depressivum", meint Musiktherapeut Bossinger. "Ich habe immer wieder erlebt, dass es Menschen mit seelischen Problemen sehr helfen kann, wenn sie in der Gruppe singen", erzählt Bossinger. "Ich habe damit schon viele positive Erfahrungen gemacht. Kopfschmerzen verschwinden, unterdrückte Erinnerungen kommen hoch und der Energielevel erhöht sich", berichtet Wijnen.
Als Indikator-Größe für einen Anstieg der Immunleistung dienten bei einer Studie die Immunglobuline A. Das Resultat der Pilotstudie belegte eine signifikante positive Veränderung beim eigenen Singen. Das bloße Hören von Musik ließ das Immunsystem kalt.
Diese Art des Singens fordert den ganzen Körper. Schon zehn bis 15 Minuten Singen und Trällern reichen aus, um das Herz-Kreislauf-System auf Trab zu bringen. Die Atmung intensiviert sich, der Körper wird besser mit Sauerstoff versorgt.
Über drei Millionen Menschen in Deutschland singen in Chören. Sie sind in der Regel lebenszufriedener und ausgeglichener und besitzen mehr Selbstbewusstsein als Nichtsänger, wie der Münsteraner Musikpsychologe Karl Adamek herausgefunden hat. Beim regelmäßigen Singen verbinden sich die Synapsen im Gehirn neu - und machen den Sänger klüger.
Singen scheint sogar einen lebensverlängernden Einfluss zu haben. Schwedische Forscher untersuchten in den neunziger Jahren über 12000 Menschen aller Altersgruppen und entdeckten, dass Mitglieder von Chören und Gesangsgruppen eine signifikant höhere Lebenserwartung haben als Menschen, die nicht singen.
Schon kleine Kinder profitieren von Gesangsstunden, wie der Münsteraner Musikpsychologe Karl Adamek und sein Kollege Thomas Blank in einer Studie über Kinder im Vorschulalter bewiesen haben. Kinder, die viel singen, bestehen deutlich häufiger den Schultauglichkeitstest im Vergleich zu Kindern, die wenig singen. Auch ihre Sprache sowie das Denken und die Koordination sind besser entwickelt.